Es tut schon ein bisschen weh...

... wenn man mit dem Fahrrad vom Großen Inselsberg am Rennsteig in Thüringen innerhalb von 3 Tagen nach Kap Arkona auf der Insel Rügen fahren will. Aber es zeigt auch die Liebe zur Natur und zum Radsport. Mit Zelt, Schlafsack und Luftmatratze bewaffnet begab ich mich also auf große Fahrt.
Mit dem Auto am Abend vor dem Grand Départ hoch zum Kleinen Inselsberg und dort geparkt, man muss sich ja das Leben nicht schwerer machen als es ohnehin schon ist. Die Übernachtung im Auto war sinnvoll, um morgens in aller Frühe das Licht des Tages ausnutzend, zu starten. Die Motivation war ausreichend, die Temperaturen am nächsten Morgen waren es nicht. Bei -1°C schob ich das 20-Kilo-Orange zum Großen Inselsberg hoch. Dicke Klamotten waren dringend nötig. Auf dem Weg gen Norden würde ich kurz zuhause anhalten und die Sachen abwerfen - Organisation ist alles. Nach 30km zuhause also kurz aufgewärmt und die flauschige Pelle abgeworfen, gings dann weiter in Richtung Erfurt. Langsam kam die Sonne raus, was meiner Motivation sehr entgegen kam. Alach, Stotternheim, Alperstädt - das Erfurter Seenland verschwand hinter mir am Horizont.

Rauf aufn Radweg und erstmal Meter machen...

... war nicht ganz so einfach. Waren doch zahlreiche Herrentagsbegeisterte unterwegs. Und "begeistert" war mancherorts eher die Umschreibung des Allgemeinzustandes. So gegen 8 Uhr kamen die ersten Väter, bzw. die es mal werden wollten, aus Ihren Löchern und um die Mittagszeit war dann bei einigen der Drops bereits gelutscht und der Tag ganz offensichtlich zuende.
Für mich standen aber für die heutige erste Etappe 240km auf dem Programm. In Artern dann der nächste Zwischenstopp zur Verpflegungspause. Die Tankstelle, die Oase des Radonneurs, wartete mit Kaffee, Klo und süßen Teilchen. Eigentlich alles was das Herz begehrt.
Weiter, raus aus Thüringen, rein nach Sachsen-Anhalt. Bis nach Bernburg gab es ein paar zackige "Sägezähne" zu bewältigen. Wahoo meinte, dass die ersten 10 von 13 Summits auf dieser ersten Etappe lagen. Aber klar, das bergige Terrain würde schon noch verschwinden (und durch Wind ersetzt werden). Bernburg selbst ist eine wunderschöne Stadt an der Saale. Wahrscheinlich werde ich dorthin nochmal wiederkommen. Der Tag neigte sich dem Ende als ich Schönebeck passierte und in Magdeburg einritt. Noch schnell zwei Bier in die Trikottasche und etwas salziges zu futtern, dann war der Weg zum Tagesziel nicht mehr weit. Der  Campingplatz am Barleber See hatte schon Feierabend und so baute ich mein Nachtquartier kurzerhand dort, wo Platz war. Duschen war nicht drin aber ich konnte dank der Wechselklamotten, die ich im Gepäck hatte, zumindest etwas einen sauberen Eindruck erwecken.


Die Nacht war trocken und nicht ganz so kalt...

...aber ich kann draußen nach wie vor einfach nur sehr schlecht schlafen. Gegen halb 5 hatte ich die Vögel satt und so begann mein Tag ungewollt rechtzeitig. Die klammen Klamotten ließen sich im Sanitärtrakt sehr gut am Händetrockner anwärmen. Man muss sich nur zu helfen wissen. Bei einem schwarzen  Selbstgebrühten packte ich meinen Kram und konnte bei Abfahrt um 6 immer noch niemanden an der Rezeption erspähen. Nun, der Vorteil der späten An- und frühen Abreise.
Am Elbe-Havel-Kanal begann die zweite Tagesetappe zunächst bis Burg. Ach ja, das Zwieback-Knäckebrot-Burg, stimmt ja. Frühstück in Jerichow an der Tanke mit sehr angenehmer Atmosphäre. Allerorten sah ich ungläubige Blicke und schüttelnde Köpfe, wenn ich meine Geschichte von Inselskona erzählte. Warum macht man sowas?
Die hügelige Landschaft wurde zunehmend flacher und der Nordost-Wind zunehmend strammer. Nicht direkt hässlich aber zumindest kräftezehrend und auf Dauer wirklich nervig. Es folgten 3 lange Abschnitte bis zur Müritz. In Havelberg, auch ein sehr schönes Städtchen übrigens, Mittagspause mit Spaghetti gemacht und über die weitere Tageseinteilung nachgedacht. Ich fühlte mich nicht gut, die Beine waren schlapp und so wurde die Strecke spontanoptimiert. Nein, nicht kürzer, nur anders und angenehmer aufgeteilt. Ich würde 50km heute sparen und stattdessen morgen fahren. 
Nächster langer Abschnitt bis Wittstock, ebenfalls sehenswert. Ausgeruht bei den Tortenschwestern mit Kaffee und schwedischer Apfeltorte. Irgendwie müssen die Kaloriern ja wieder rein. Der letzte Abschnitt bis Kamerun, kurz vor Waren, zog sich dann wieder zäh. Der Wind hatte aufgefrischt, das rechte Knie zwickte aber irgendwann war es dann vollbracht. Wieder 200km heute und mein Hinterrad machte mir etwas Sorgen. Irgendwie war der Reifen weicher als sonst. Nun gut, etwas nachgepumpt, wird er schon durchhalten. Der Campingplatz war eigentlich ein Parkplatz auf 'ner Wiese. Auf 1 Zelt kamen ca. 20-25 Dauercamper, Wohnmobile oder -anhänger. Egal, erstmal aufbauen und...


Duschen tat dringend Not

Was für eine Wohltat. Die Strapazen des Tages einfach abspülen. Großartig, man lernt auf so einem Trip die Errungenschaften des täglichen Lebens wirklich wieder zu schätzen. Der freundliche Nachbar lud in meine Powerbank was der Nabendynamo tagsüber nicht ganz geschafft hatte. Überhaupt waren mir alle freundlich gesonnen bzw. habe ich von denen, die es nicht waren, nichts bemerkt.
Ich bin viele Kilometer Straße gefahren. Die wenigsten haben regelkonform überholt aber wirklich gefährlich war es nie. Niemand hat gehupt. Nicht ein einziger Autofahrer hat die Nerven verloren.
Die Nacht war kalt, ich habe gefroren. Ein Kompromiss zwischen Temperatur und kompaktem Schlafsack. Naja, morgens ein Kaffee und umziehen im Duschtrakt. Das hatte sich ja bewährt. Pünktlich um 6 war ich wieder auf der Piste. Der Reifen hatte durchgehalten bis jetzt. In Waren war an dem Wochenende Müritz-Sail und so war es gut, dass ich morgens da durch bin als noch niemand unterwegs war. Der lange Abschnitt bis Malchin zog sich wie Käse auf ner Quattro Fromaggi. In Alt-Schönau holte mich ein Schild mit der Aufschrift "Depot" aus der Träumerei. Das kenne ich doch. Momentmal, ist das nicht... Doch, die Mecklemburger Seenrunde lief an genau diesem Wochenende. Eine 300km-Tour, die ich auch schon 2x gefahren bin.
Da musst du doch mal rein und "Hallo" sagen, vielleicht gibts ja einen Kaffee. Ich kam mit den Helfern und Fahrern ins Gespräch und hatte Gelegenheit die Füße und schöne Erinnerungen aufzuwärmen. Später erfuhr ich, dass zwei Kumpels kurz vorher in Neubrandenburg auf die Strecke gegangen waren. Aber zum Warten wäre keine Zeit gewesen. Leider.


Gegenwind formt den Charakter...

...so heißt es doch. In Neukalen fand sich dann der Punkt, den ich gestern hätte erreichen wollen. Im Nachhinein war es die richtige Entscheidung, das zweite Tagesziel etwas vor zu ziehen. Mittlerweile musste ich das Knie immer wieder zwischendurch ausruhen. Die gute Nachricht, es wurde nicht schlimmer und schon durch kurze Stopps und Entlastungen "erkaufte" ich mir weitere Kilometer auf dem Bike. So folgte Abschnitt für Abschnitt bis Franzburg. Kurz im ansässigen Supermarkt verproviantiert und das Zeug direkt davor aufgefuttert. Stralsund war nicht mehr weit und ein wichtiger Punkt meiner Reise näherte sich unaufhörlich. Der erste Atemzug Seeluft.
Mein Vorrat an Bargeld hatte sich halbiert und ich wusste nicht, was noch kommen würde. Daher, noch vor der Passage über den Rügendamm, ein kurzer Ausflug ins EC-Hotel zum Moneten fassen. Stralsund kannte ich von vorherigen Reisen ein wenig und so war die Bank schnell gefunden. Los jetzt, letzter Abschnitt. Popelige 65km standen noch zwischen mir und dem nördlichsten Punkt Rügens. Stolz kam langsam hoch aber noch war es nicht vollbracht. Über Rambin und Gingst erreichte ich die Fähre bei Wittdorf. Für Dreieurozwanzig holte der Fährmann über. Drüben, so war mein Plan, wollte ich den Radweg an der Westküste bis zum Kap graveln. Jedoch gab hier das Hinterrad endgültig auf. 15km vorm Ziel. Die gerühmten Tubeless-Repair-Darts versagten ihren Dienst und so blieb nur, einen Schlauch einzubauen. Der Reifen war schon ziemlich dünn und es war nur eine Frage der Zeit bis zum Versagen. OK, hätte ich vorher neu machen sollen. Erfahrung ist der beste Koch. Rauf auf die Straße, es ging auf 6e, und direkten Weg zu Kap.


Je näher das finale Ziel kam...

...desto mehr stieg mir der Kloß in den Hals. Kaum zu glauben, ich hatte es tatsächlich geschafft. 650km in 32h reiner Fahrzeit, 2500Hm und 16500 Kalorien. Mir war zum heulen und tanzen zugleich. Diese Gefühl ist einfach so unbeschreiblich, wenn die Anstrengungen und Strapazen der letzten 3 Tage mit einem Mal einfach von dir abfallen. Der Turm von Kap Arkona war zu sehen und es waren nur noch ein paar Meter.

Fertsch!

Und zwar richtig. Körperlich und nervlich. Und auf noch eine Nacht, frierend im Zelt, hatte ich keinen Bock. Ich wollte ein richtiges Bett und richtig schlafen und duschen und ein Bier oder zwei. Unterwegs hatte ich bei Juliusruh ein Schild "Zimmer frei" im Augenwinkel registriert. Das sollte meins werden. Und so kam es dann auch. Erholung war angesagt und ich hatte es mir ja auch irgendwie verdient.
Der nächste Tag startete mit reichhaltigem Frühstück und die 30km nach Bergen zum Zug rollten fast von alleine. Ich schlug mich mit dem Zug bis Berlin, Erfurt und Gotha durch und war kurz vor Mitternacht zuhause. Ende gut, alles gut. Wirklich alles gut.

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