2020 habe ich vom SuperBerlinEpress747 das erste Mal gelesen. Ja was zum Teufel... Ja wie jetzt? Doch... Es geht darum, zwischen Freitag und Sonntag von Hamburg nach Berlin zu radeln, um eine kleine Papierkarte einzusammeln und zurück nach Hamburg zu bringen.

 

Ja habt ihr nur alle 'n Knall?

Ähm, also... Ja. Und helfen tut das auf jeden Fall, also wenn man ihn hat, den Knall. Der Long-Distance-Abenteuerfahrt-Country-Cat führt über 747km von Hamburg, Müritz, Berlin wieder zurück nach Hamburg. Das ist eine von diesen Touren bei der sich auf wundersame Weise Bekanntschaften zu Freundschaften entwickeln können. Wildfremde Menschen werden zu Rettern in der Not. Der Teamspirit schießt auf Maximum. Chris Hemmi aka Rick Rider hat das Ding vor ein paar Jahren ausgeheckt und, ich schrieb es bereits, ich las 2020 zum ersten Mal davon.

Kann ich sowas?

Das war mit so die erste Frage, die ich mir in dem Zusammenhang stellte. 2021 hatte sich herausgestellt dass, nein. Bis zur Müritz, bis Berlin und bis Potsdam war anstrengend - zurück nach Hamburg jedoch für mich nicht innerhalb der Zeit machbar. Dem permanent starken Gegenwind auf'm Elbdeich Demut zollend, tauschte ich voriges Jahr den SBE747 gegen einen Regionalzug der Deutschen Bahn nach Hamburg. Immerhin konnte ich doch über 600km auf dem Bike absolvieren. Verdammt, das muss doch gehen.

Die Revanche.

Und so kam es, dass ich ganz persönlich mit dem SuperBerlinExpress747 noch eine Rechnung offen hatte. Verschiedene Dinge hatte ich geändert im Hinblick auf Verbesserung. So reiste ich dieses Mal nicht mit der Bahn an. Ich stellte den Caddy am Ziel ab und konnte damit den Zeitdruck, die Rückfahrt nicht zu verpassen, aus dem Kopf verbannen. Ich ließ einiges an Ausrüstung zuhause bzw. ersetzte es durch praktischeres. Kurz, ich versuchte die Erfahrungen des Vorjahres sinnvoll umzusetzen. Und, soviel vorweg, es hat funktioniert.
Nach typischer Autobahnanreise am Donnerstag Nachmittag, besuchte ich auf dem Weg ins Hotel noch die Oberhafenbrücke. Dort hatte Chris vor fast 3 Jahren, zu Beginn des ersten Corona-Lockdowns, einen "distanzierten" Treffpunkt mit Messenger-Board für die Cycling Community eingerichtet. Long und nicht-so-long Distance Riders treffen sich hier isoliert und hinterlassen Ihre Spuren.

 

Stage 1

Hamburg, 5:00 Uhr - die Nacht ist um. Bike richten, nochmal duschen und ab zum Start. An der Alsterwiese Schwanenwik waren schon einige Mitreisende versammelt. Ein Bike-Barista schenkte Kaffee aus. Bekannte wurden geherzt, Unbekannte wurden zu Bekannten. Chris hielt 'ne kurze Ansprache, die ersten Fotos entstanden. 6:00 Uhr - Abfahrt. Knapp 750km lagen vor uns... f*cking siebenhundertfuffzisch
KM-Angaben im Kopf sind schlecht für die Moral. Es ist besser, sich kleine Ziele zu stecken. Also fuhr ich erstmal zum Frühstück nach Mölln. Dort kannte ich ein kleines Café namens "Fräulein Ziegenbein", welches mir durch grandios freundliches und hilfsbereites Personal im vorherigen Jahr schon aufgefallen war. Direkt am Track gelegen, trudelten Olaf, Maren sowie Harald und sein Kumpel ein und wir hockten zusammen beim Frühstück.

 

Das Foto bildet die Stimmung perfekt ab. Mutmaßungen über Verwandschaftsverhältnisse mit Harald kann ich entkräften ;-)
Das Frühstück zeigte Wirkung. Die Kilometer flogen unter den Reifen dahin. Irgendwann - zahlreiche Wasserflaschen, Eise und Bananen später - lag tatsächlich die Müritz vor mir.

 

Bis zum Tagesziel Zempow war es nun nicht mehr weit und ich lag gut in der Zeit, die ich dringend zur Erholung brauchte.
Abendessen im "Einladen", Gesichter aus Hamburg wiedererkennend, fand ich später im lokalen Autokino meinen Schlafplatz. Genug Zeit, um die Wunden des Tages zu lecken.

Stage 2

Ich hatte die Nacht im Schlafsack und mit Ohrstöpseln dann doch irgendwie rumgebracht. Merke: Mückentötolin und Antibrumm hilft bei Zempower-Autokino-Mücke nicht. Egal.
Der Morgen war frisch, also rein in die klammen Klamotten, Gerödel zusammenpacken und rauf aufs Rad - dann würde mir schon wieder warm werden. Ich brauche dringend Kaffee.
Nach ein paar Kilometern hörte ich "UNGER!!!". Häh? Was? Ahhh, die Gruppe um Harald und Hendrik war abends noch ein Stück weitergefahren und hatte sich eine schicke Lehmhütte zum Schlafen ausgesucht. Die Jungs waren auch grade am Packen, also hielt ich kurz an und wir zogen gemeinsam weiter gen Berlin. Der nächste Bäcker, wir waren uns einig, gehörte uns. Nach dem Frühstück legte Harald singlespeedend eine ganz gute Pace an den Tag und wir kamen gut voran. Unterwegs stieß Sabine noch zu uns. Sie hatte die Strecke dort in der Gegend gescoutet und sich spontan bereit erklärt, uns ein Stück zu begleiten. Irgendwann war das Frühstück bei mir aufgebraucht und ich bog, die anderen ziehen lassend, auf den Supermarkt-Parkplatz ab.
Der Vortag war nicht ohne Folgen für mein Hinterteil geblieben und so entschloss ich mich etwa 100km vor dem Checkpoint an der Glienicker Brücke, den Track zu verlassen und den direkten Weg zum Checkpoint einzuschlagen. Im Hinblick auf das Gesamtziel, eine für mich richtige Entscheidung.

 

Melde gehorsamst: Zwischenziel erreicht.
Kurz nach Mittag erreichte ich tatsächlich die "Agentenbrücke" und konnte meine Spoke-Card an mich nehmen. Ein paar Gummibächren schwitzten noch in der Sonne und kamen mir gerade recht. Hunger machte sich breit. Ich hatte durch die Routenänderung die Reisegruppe "Harald" überholt aber Sie mussten gleich eintrudeln. So beschloss ich, im nächsten Restaurant zu warten. Flammkuchen, alkoholfreies Weißbier und eine gute Pause brachten die Lebensgeister zurück und gaben Zeit, die Weiterreise im Kopf mal durchzuspielen. Das Tagesziel hieß Wittenberge. In Sebastians Homebase warteten außer dem Schlafplatz auch Bratwurst, Lagerfeuer und Bier. Auch gefiel mir die Vorstellung am Sonntag nur noch 180km vor mir zu haben. Also stand die Entscheidung fest. Direkter Weg nach Wittenberge.
Ich verließ also die Gruppe wieder und kurbelte im Rennrad-Modus die Kilometer runter. Das Treffen der "German Rednecks" oder die "Oldtimer Flugtage" brachten unterwegs etwas Ablenkung. Und, von Zeit zu Zeit lohnt es sich auch mal hinter den Deich zu schauen.

 

Currywurst mit Fritten, Wasser, Süßes und pedalieren - immer wieder pedalieren. Havelberg. Endlich.
Kurze Rast und eben mal das Hinterrad checken. Irgendwas stimmte da nicht. Daumenprobe - Mist, das ist doch viel zu weich. Ist tubeless vielleicht doch keine so gute Idee gewesen? Na, die verbleibenden 35km bis Wittenberge würde das schon noch halten. Luft aufgepumpt, Maren und ihren Reisebegleiter abgeklatscht und weiter gings. Es folgte der wildeste Ritt des ganzen Tages. Aufm Elbdeich, der Wind war schon zu Bett gegangen, waren locker 30 Sachen drin. Hui... 100 Millionen Fliegen klatschten auf die Haut, ein paar habe ich bestimmt verschluckt... und zack, saß ich bei Sebastian am Lagerfeuer. Langer Tag im Sattel, rotztütenfertig und nach einer Bratwurst, einer Hühnersuppe und einem Bier lag ich im Schlafsack und bin sofort eingeschlafen.

Stage 3

4:30 Uhr weckte mich die Sonne. Im Schlafwagen des SuperBerlinExpress herrschte bereits reges Treiben. Sebastian hatte am Abend schon das Frühstück vorbereitet. Phänomenal was er für die Fahrerinnen und Fahrer geleistet hat. Unermüdlich hatte er immer ein kaltes Bier, eine warme Mahlzeit, Kaffee oder Motivationssprüche parat. 3 Tage lang.
Well Darling, der Kaffee war gut und startete den Motor. Die letzten Kilometer lagen vor uns, für mich gut zu schaffen bis zum Nachmittag, und so gab es keinen Grund, den Track erneut zu verlassen. Elbdeich, Gorleben, Bäcker, Eisenbahnbrücke, Hitzacker, Kaffee, Kniepenberg. Ach ja, da war ja doch noch was. Entspannt vor mich hinrollend, bog ich rechts ab und stand plötzlich vor einer Wand. Ja WTF war das? Hätte ich ja gleich zuhause bleiben können. Dort türmten sich locker 13% Anstieg auf, die dem Thüringer Wald alle Ehre gemacht hätten. Na gut, dachte ich, Challenge accepted... kleines Blatt und los. Oben angekommen, drüben wieder runter - klar, war ja zu erwarten. Nach 50m, ein deja-vu, lachte mich der nächste 14-Prozenter an. Ich fühlte mich spontan in den Harz nach Wendefurt versetzt. Keuchend und schwitzend konnte ich aber die Herausforderung bewältigen - bin gleich bis hoch zum Aussichtsturm gefahren um selbigen - mit Fahrrad - zu besteigen. Ein kleiner, selbst auferlegter Tribut an die "Streckenanpassung" des Vortages. Nun ja, oben wäre ein kühles Bier akzeptabel gewesen ;-)

 

Am Ortsschild "Hamburg" waren es noch schlappe 30km bis zum Ziel und der Endgegner "Altengammer Hauptdeich" wartete schon im Gegenwind. Aber nach knapp 700 absolvierten Kilometern hatte ich dafür nur ein müdes Lächeln übrig. Rechts-Links-Rechts-Links, im Auflieger gegen den Wind. Irgendwann hatte Trackbuilder Chris wohl Mitleid mit uns und ließ uns rechts abbiegen. Die Kilometer bereits einstellig, zählte die Uhr runter. 3... 2... 1... die letzte Linkskurve bog ich, nicht wissend ob vor Schmerzen heulend oder vor Glück lachend, zum Fährhaus Entenwerder ein.

La Ola...


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